Linksradikale diskutieren Eintritt in die Linkspartei

Sebastian Weiermann, linker Journalist aus Wuppertal (Neues Deutschland) und vor einiger Zeit Gast von Rüdiger Sagel in der ESG in Münster, schrieb als Erster im nd über den Aufruf „WIR // JETZT // HIER – Zusammen rein in DIE LINKE“, der inzwischen auch online ist.

Unter dem Motto „WIR // JETZT // HIER“ hatten linke Aktive aus sozialen Bewegungen kurz nach dem Parteiaustritt der Wagenknechte einen Aufruf mit dem Ziel „in Die Linke einzutreten“ gestartet. In einer Telegram-Gruppe sammelten die Initiator*innen über 500 Menschen. Am vergangenen Montag, nach dem Parteitag der Linkspartei in Augsburg, sollte massenhaft in die Partei eingetreten werden.

Da vergangenen Freitag dieser Aufruf auch Werner Szybalski, Co-Sprecher der Münsterliste – bunt und international e.V., erreichte, schrieb er den Initiatoren des Aufrufs einen

Einwurf zu: WIR // JETZT // HIER – Zusammen rein in DIE LINKE

Münster, 17. November 2023

Die Verhältnisse auf unserer Welt sind katastrophal. Unzählige Menschen leben in großer Armut, so dass täglich 24.000 Menschen allein wegen Nahrungsmittelmangel sterben. Dies, obwohl wir allein in Deutschland 2020 fast elf Millionen Tonnen Lebensmittel vernichtet haben. Auch die ökologische Katastrophe droht nicht, sondern ist schon da. Wir hier beklagen Starkregen und zu heiße Temperaturen, während in der südlichen Hemisphäre die Menschen einfach absaufen oder flüchten müssen, da unter anderem auch der Meeresspiegel steigt. Die Menschen sind verunsichert, weshalb zunehmend „einfache Lösungen“ geglaubt werden und die rechtsradikalen Politiker*innen Erfolge auf dem Rücken der Migrant*innen und anderweitig ausgegrenzten Menschen feiern. Tatsächlich haben sich nun auch die regierenden Grünen so weit von ihren Ursprüngen entfernt, dass sie nicht nur weltweit Kriege führen, sondern auch Migrant*innen als politisches Instrument missbrauchen. Für Linke waren und sind die Regierungs- und Bundestagsparteien mit Ausnahme der Partei Die Linke nicht wählbar. Doch rechtfertigt der gelegentliche Zuschuss für linksradikale Veranstaltungen durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung den Schritt zur parlamentarischen Politik?

Die Linke insgesamt muss sich tatsächlich Gedanken machen, wie ihr Einfluss auf die Gesellschaft und insbesondere auf die örtlichen Gemeinschaften erhöht werden kann. Dies geschieht nicht durch Masseneintritte in die Partei Die Linke, sondern nur durch mehr gemeinsame Arbeit in den Städten und soweit möglich auch auf dem Land.

Nicht das Trennende (wie zum Beispiel die Einstellung zur Hamas oder eine Parteinahme im Krieg in der Ukraine) muss in den Städten (und Dörfern) im Mittelpunkt der Diskussion der Linken und ihrer Gruppen sein, sondern das Verbindende. Dies kann nur das Lokale sein, denn dort wird auch linke Politik persönlich erlebbar und auch messbar. Dazu muss immer und immer wieder der Brückenschlag der bürgerlichen Linken mit den Arbeiter*innen gesucht werden. Auch einfache, leicht verständliche Mittel und Anreize wie zum Beispiel Wahlen und Abstimmungen müssen dafür genutzt werden. Im Zentrum muss aber immer stehen, dass die Selbstermächtigung der Arbeiterklasse, die sich bekanntlich selbst kaum als solche erkennt, grundsätzlich nur von unten erfolgreich verwirklicht werden kann.

Die Partei Die Linke ist dabei wichtig, aber kann angesichts ihrer bekannten Versorgungsmentalität und dem Kleben vieler einmal gewählter Machtinhaber*innen an deren Posten und insbesondere an gut dotierten Mandaten nicht die Erfüllung der gefühlt gescheiterten Bemühungen der radikalen Linken sein.

Der Abgang der „Wagenknechte“ ist kein historischer Wendepunkt für die Partei Die Linke und für die politische Linke sowieso nicht. Die Diskussion innerhalb der Partei endet nicht, nur weil eine durch die Medien zur angeblichen Hauptkritiker*innen gemachte Person mit ihren Getreuen die Partei nun verlassen hat. Dies wird sicherlich auch schon an diesem Wochenende auf dem Europa-Wahlparteitag in Augsburg wieder deutlich. Es wird konkurrierende Wahlen und Abstimmungen geben, wobei aber die Versorgungssicherheit (Staatsknete für Mandatsträger*innen und deren Mitarbeiter*innen sowie für die Infrastruktur der Partei) im Mittelpunkt stehen wird. Der langjährige Streit um Regierungsbeteiligungen hingegen wird nicht beendet sein und auch nicht durch den Eintritt vieler antiautoritärer Linker gestoppt werden.

Dies wird erst möglich sein, wenn die Partei Die Linke sich auf einen gangbaren Weg zum Sozialismus festlegt. Dazu gibt es in der aktuellen Wissenschaft (und bei örtlichen kommunalistischen Gruppen) ausreichend Überlegungen, die alle auf radikale Nachhaltigkeit zum Schutz der Umwelt und damit der Menschen und auf lokalem statt nationalem Handeln beruht. Macht korrumpiert, weshalb Macht stark begrenzt und rückholbar sein muss. Dies ist bei der Partei Die Linke derzeit nicht möglich, denn die Partei ist komplett auf Parlamentarismus ausgerichtet.

Ja, es gilt „sich neu zu organisieren“! Dabei darf das außerparlamentarische Engagement der Linken keinesfalls verringert werden. Es müsste sogar verstärkt werden. Dies wäre durch – kommunale – Zusammenarbeit bei gegenseitigem Respekt, dem Versuch der uneingeschränkten Solidarität und dem Willen zum (schrittweisen) Aufbau des Sozialismus mit radikalem Schutz der Umwelt und Natur, der Offenheit gegenüber allen nicht andere diskriminierende Lebensformen sowie der Freiheit (zum Beispiel der Wahl des Lebensmittelpunktes), der sozialen Absicherung aller Menschen durch ihre lokale Gemeinschaft (Kommune) unter anderem durch Abschaffung der Rentenökonomie und des privaten Besitzes an Grund und Boden sowie der kostenfreien Daseinsvorsorge für alle bei rätedemokratischen Mitbestimmungsrechten aller betroffenen Einwohner*innen der jeweiligen Gebietskörperschaft und einem politisch-administrativen Überbau, wie er zum Beispiel jüngst von den Zapatistas beschlossen worden ist.

Für einen individuellen Beitritt zur Partei Die Linke ist zur Zeit sicherlich ein guter Moment. Es bleibt aber auch ein mutiger Schritt, denn allein der Weggang von Wagenknecht und Co. macht die Partei noch nicht zu einem Wohlfühlort auch für antiautoritäre Linke. Die Ramelows und Bartsches werden in der Partei bleiben und um Beteiligung auf Landes- und Bundesebene und Macht und Geld kämpfen. Die aufgeführten Veränderungswünsche könnten vielleicht sogar der Mehrheitswille der (zukünftigen) Mitglieder der Linkspartei sein, dürften aber angesichts der bisherigen Praxis in der Partei sich nicht gegen die Fraktionen und deren Interessen durchsetzen lassen.

Tatsächlich könnte eine linke Partei mit den beschriebenen Grundsätzen („Für eine Partei der Opposition“ bis „Für eine Partei der Straße“) und dem Ziel „Klimapolitik ist Sozialpolitik ist Klassenpolitik“ ein Mosaikstein zur Überwindung des Kapitalismus sein. Doch bis die Partei sich dahin transformiert, könnten die Energien der sozialen Bewegungen in den örtlichen Kämpfen fehlen.

Es braucht die antiautoritäre, selbst organisierte (kommunale) Linke und auch die Linkspartei. Deshalb wäre ein Zusammenschluss der örtlichen Partei ungebundenen Linken zu einem offenen Wähler*innen-Bündnis, dass dann bei Kommunalwahlen und in den Stadtstaaten gleichberechtigte gemeinsame Wahllisten mit der Linkspartei bildet, um nach der Wahl auch politische Verantwortung auszuüben. Bei den sonstigen Wahlen (Land, Bund, EU) sollte die gesamte Linke die Linkspartei unterstützen, denn tatsächlich ist sie die einzige Parlamentspartei in Deutschland, die den Kapitalismus überwinden will.

Der Aufruf und der Einwurf als pdf.