Von Netzwerk für Kommunalismus
Partizipative Gemeinden haben sich 2020 zur Kooperative „Fréquence Commune“ zusammengeschlossen und seit 2022 vereint das Netzwerk „Action Communes“ über 70 Gemeinden und partizipative Kollektive in Frankreich. In einem soeben erschienenen Artikel in der Zeitung „Le Monde“ stellen sie ihre Idee einer partizipativen Demokratie vor.
Seit einigen Jahren sei ein Demokratiedefizit zu beobachten, schreiben die Autor*innen. Die Fünfte Republik werde immer autoritärer und es sei eine Illusion, dass die staatlichen Institutionen demokratisch seien. Überraschenderweise formiere sich der grösste Widerstand gegen diesen Trend nicht in Paris – entgegen den Bildern von den Demonstrationen, die zurzeit die mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen – sondern aus den kleineren Städten und Dörfern. In Gemeinden wie Poitiers, Vaour, La Montagne oder La Crèche hätten Einwohner*innen als politische Laien ihre Verantwortung übernommen und würden zu einer lebendigen Demokratie beitragen. Sobald sie „das Rathaus gewonnen“ hätten, würden diese partizipativen Gemeinden nach neuen Methoden suchen, wie Gewählte und Einwohner*innen besser zusammenarbeiten können.
Staat schränkt Gemeinden stark ein
Kreativität ist gefragt, denn die staatlichen Institutionen schränken die politischen Rechte der Gemeinden stark ein und versuchen ihre Eigenständigkeit unter Kontrolle zu halten. Im Artikel werden einige demokratische Instrumente genannt, mit denen die Kommunen zur Zeit experimentieren:
- Auslosung (zum Beispiel von Bürger*innenräte)
- Haustürgespräche
- partizipatives Budget (vergleichbar mit Bürger*innenhaushalt)
Auch in den Bereichen Sicherheit, Bildung, Klimakrise und lokale Wirtschaft streben sie eine andere Form der „citoyenneté“1 an, also eine neue Rollenverteilung für die Einwohner*innen, für die Gewählten, für die*den Bürgermeister*in. Sie wollen „eine Demokratie, welche der Gleichheit, der sozialen Gerechtigkeit und der Ökologie dient.“
Tag für Tag würden die Gemeinden neue Methoden ausarbeiten, um kollektive Entscheidungen und Einwohner*innen-Initiativen zu fördern und Diskussionsräume zu öffnen: „Denn die Deliberation ist die Grundlage des demokratischen Funktionierens“, heisst es in dem Artikel. Durch diese Tätigkeit gewinnen die Einwohner*innen an Kompetenz, tauschen ihre Argumente aus, prüfen Kontroversen und evaluieren ihre Meinungen, um zu Entscheidungen zu gelangen, die im allgemeinen Interesse sind.
Macht anders verteilen
Folgenden Punkt betont der Artikel besonders: Es geht darum, die Macht zwischen Gewählten, Einwohner*innen und öffentlichen Akteur*innen anders zu verteilen. Das bedeutet, dass die neuen demokratischen Instrumente einen wirklichen Einfluss auf die Politik haben müssen. Die Autor*innen kritisieren die oft marktschreierisch angepriesene Praxis einer angeblichen „Partizipation“ und „demokratischen Innovation”, die aber letzlich keine Entscheidungsmacht mit sich bringt. Im Gegensatz dazu würden die erwähnten Gemeinden das Risiko eingehen, „sich auf die populäre Souveränität zu verlassen“ – das heisst, dass sie der Bevölkerung zutrauen, wirkungsmächtige Entscheidungen zu treffen.
Konföderation der Kommunen
Auf nationaler Ebene existiere diese Deliberation nicht, kritisiert der Artikel. Weder das Parlament, noch die Gewerkschaften, noch die Demonstrationen könnten eine Lösung bieten, die auf kollektiven Entscheidungen beruhe. Es liege deshalb an den partizipativen Kommunen, eine demokratische Alternative zu den autoritären Vorschlägen der Regierung zu finden.
„Menschen wie du und ich sind die Einzigen, die unsere Institutionen von Grund auf erneuern können“, schreiben die Autor*innen. Somit positionieren sie die Kommunen als Gegengewicht zum Nationalstaat: Wenn sie sich zu einer Bewegung zusammenschliessen („en fédérant“ im Originaltext, also „föderieren“), dann können sie die Regeln des politischen Spiels über den Haufen werfen und neu definieren. Falls es in der Zwischenzeit nicht gelinge, die Verfassung zu ändern, kündigt der Artikel an, so würden sich zu den Wahlen 2026 Tausende von partizipativen Listen in den Gemeinden organisieren.
1 Citoyen bedeutet „Bürger*in”, gemeint ist in diesem Kontext aber nicht Staatsbürger*in, sondern Gemeindemitglied. Analog wird das Wort “citoyenneté“ (oder englisch „citizenship“) oft mit Staatsbürgerschaft übersetzt, hier sind aber die Mitglieder der kommunalen Gemeinschaft gemeint.