Letztmalig: Ein Sommernachtstraum

Von Christoph Theligmann
Wenn das Schauspiel Ensemble in der vorletzten Vorstellung am Juli Vollmondtag – das letzte Schauspielstück der laufenden Spielzeit ist zwei Tage später „Der Zerbrochene Krug“ (!) – William Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ auf die Bühne bringt, dann trifft diese märchenhafte Komödie auf ein Haus, das selbst Teil einer vielstimmigen, komplexen Erzählung geworden ist. Die Bühne wird damit nicht nur Ort der Inszenierung eines zeitlosen Klassikers – sondern zugleich auch Spiegel einer Institution im Umbruch, deren Realitäten manchmal so widersprüchlich erscheinen wie die nächtlichen Verwicklungen im Athener Wald.
Shakespeares Stück erzählt von Liebenden, die sich selbst und einander in einem nächtlichen Zauberwald verlieren – gelenkt von übernatürlichen Mächten, getrieben von
inneren Wünschen und äußeren Verwirrungen. Nichts ist gewiss in diesem Spiel mit Identitäten, Loyalitäten und Illusionen. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass gerade dieser Stoff in einem Haus zur Aufführung kommt, in dem ebenfalls um Rollen, Machtverhältnisse und Perspektiven gerungen wird.

Denn auch im realen Theater Münster ist vieles in Bewegung. Zwei öffentliche Schreiben aus dem Inneren des Hauses, die in diesem Frühjahr an die Stadtgesellschaft gerichtet wurden, geben Einblick in ein Spannungsfeld, das weit über eine Personalie hinausreicht. Vordergründig geht es um die Frage der Vertragsverlängerung der Intendantin. Dahinter jedoch steht, wie im „Sommernachtstraum“, eine tiefere Auseinandersetzung um Haltung, Ästhetik und den Charakter des Theaters selbst: Soll es ein Ort der Bewahrung oder des Wandels sein? Soll es verführen oder verstören, unterhalten oder herausfordern – oder alles zugleich?
In Shakespeares Komödie treffen mehrere Welten aufeinander: der Hof mit seinen klaren Regeln, die Handwerker mit ihrer volkstümlichen Direktheit, und das Feenreich mit seiner anarchischen Kraft. Ihre Begegnungen erzeugen Reibung, aber auch Verwandlung. Ähnlich lässt sich auch die derzeitige Situation am Theater Münster deuten – als ein Zusammenprall verschiedener künstlerischer Vorstellungen, institutioneller Strukturen und menschlicher Bedürfnisse.
Theaterhaus im Wandel
Dass sich ein Theaterhaus im Wandel befindet, ist keine Seltenheit. Aber selten tritt dieser Wandel so öffentlich zutage wie derzeit in Münster. Wie in Shakespeares Zauberwald wirkt manches widersprüchlich: Solidaritätsbekundungen treffen auf Kritik, Kunstanspruch auf wirtschaftliche Realität, progressive Ideen auf das Bedürfnis nach Verlässlichkeit. Es ist ein Prozess der Aushandlung, des Tastens, des Suchens – vergleichbar mit dem nächtlichen Umherirren von Hermia, Lysander, Helena und Demetrius. Auch sie wollen Klarheit – und finden sie erst, als der Spuk des Zaubers weicht und die Ordnung des Tages wiederkehrt.

Doch der Zauber ist nicht nur Trug. Er eröffnet auch neue Perspektiven. In Shakespeares Welt muss man sich verirren, um zu sich selbst zu finden. Vielleicht ist dies auch im realen Theaterkontext eine notwendige Bedingung: dass ein Haus sich infrage stellt, widersprüchlichen Stimmen Räume gewährt, um sich neu auszurichten. Dass es Irritationen aushält, weil aus ihnen Einsichten erwachsen können.
Die Aufführungen von „Ein Sommernachtstraum“ sind nicht als Kommentar auf das Geschehen im Haus gedacht – sie ist Teil des Spielplans, lange vor den jüngsten Diskussionen festgelegt. Doch ihre Themen – Illusion und Wirklichkeit, Wandel und Beharren, das flüchtige Wesen der menschlichen Leidenschaft – wirken in die Gegenwart hinein. Es ist das Privileg großer Literatur, in wechselnden Zeiten immer neue Spiegelflächen zu sein.
Räume öffnen
Für das Publikum bietet sich am 10. Juli um 19.30 Uhr die Gelegenheit, Shakespeare in einer letzten Aufführung des „Sommernachtstraums“ zu erleben, der vielleicht mehr mit der eigenen Gegenwart zu tun hat, als es der Fantasiecharakter des Stücks zunächst vermuten lässt. Und für das Theater selbst ist es eine Chance, mit künstlerischer Kraft zu zeigen, wozu es da ist: Räume zu öffnen, in denen sich Fragen stellen lassen, ohne dass sogleich Antworten vorliegen müssen.



Ich war wirklich geschockt wie wenig Menschen zur Einweihung dieses bunten Zebrastreifens zur offiziellen Eröffnung kamen. Münster ist bunt. Und…