Afrika – Geschichte und Vielfalt eines Kontinents

„Familientreffen“ mit Lutz van Dijk

Im März diesen Jahres erschien im Wuppertaler Peter Hammer Verlag die überarbeitete Neuausgabe des Buches „Afrika – Geschichte und Vielfalt eines Kontinents“. Am Dienstagabend (24. Juni 2025) stattete der Autor Lutz van Dijk, der in der Neufassung seines Werkes viele afrikanische Stimmen zu Wort kommen ließ, Münster einen Besuch ab. Im VHS-Forum – vor voll besetzten Zuhörer:innenplätzen – berichtete der abwechselnd in Amsterdam und einem Township in Kapstadt lebende deutsch-niederländische Lehrer, Journalist, Autor und Menschenrechtler aus seinem Leben und Wirken.

Autor Dr. Lutz van Dijk (l.) und die Mitautor:innen Maimuna Bojang und Dr. Moustapha Diallo sprachen im VHS-Forum in Münster über Themen aus der Neuauflage des van Dijk-Werkes „Afrika – Geschichte und Vielfalt eines Kontinents“. (Fotos: Werner Szybalski)

Stimmen aus Afrika nach Münster holen

Direkt vor Beginn der Veranstaltung mit Lutz van Dijk, also kurz bevor Dr. Anna Stelthove-Fend die Gäste begrüßte, konnte die Redaktion der Sprecherin des 2020 gegründeten Vereins „Afrikanische Perspektiven“ zwei Fragen stellen: Warum soll ich mich in Münster für Afrika interessieren? Was zeichnet die afrikanische Perspektive aus? „Warum nicht?“, konnte Stelthove-Fend die erste Frage offensichtlich gar nicht nachempfinden, um auf die zweite aber differenziert und ausführlich zu antworten. Im Kern geht es ihr und den anderen Vereinsmitgliedern darum, den Horizont und damit auch die Sichtweise der Menschen zu ändern. Dazu holt der Verein regelmäßig Stimmen aus Afrika nach Münster. So könne der Blick afrikanischer Menschen auf Europa, Deutschland und natürlich auch Münster von den hier Lebenden leichter verstanden und nachvollzogen werden.

Dr. Anna Stelthove-Fend vom Verein „Afrikanische Perspektiven“ Münster begrüßte die Gäste und Podiumsteilnehmer:innen im VHS-Forum.

Die Welt aus anderen Blickwinkeln betrachten

Bei der Begrüßung des überwiegend weiblichen Publikums im Saal, den Mitarbeiter:innen der zehn, elf im Saal sich präsentierenden Initiativen, die sich mit einzelnen Ländern in Afrika beschäftigen, und des Autors van Dijk sowie seiner Co-Autoren Dr. Moustapha Diallo und Maimuna Bojang, die beide auch mit Beiträgen im neu aufgelegten Buch „Afrika“ vertreten sind, ließ Anna Stelthove-Fend den Blick durch die Reihen gleiten. Schließlich stellte sie fest: „Es ist heute schon so etwas wie ein kleines Familientreffen.“

Lutz van Dijk
Vor fast 70 Jahren wurde der deutsch-niederländische Autor und promovierte Pädagoge Lutz van Dick, der seit 1992 Lutz van Dijk heißt, in West-Berlin geboren. Er arbeitete zunächst als Lehrer an einer Sonderschule in Hamburg, später dann auch als Autor. Nach seiner Promotion 1987 im Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg (Thema „Oppositionelles Lehrerverhalten 1933–1945“) befasste er sich in seinem schriftstellerischen Werk mit Nationalsozialismus und Homosexualität sowie der Verbindung der beiden Themen. Im Anne-Frank-Haus in Amsterdam war Lutz van Dijk als Lehrer in der Lehrerausbildung tätig. 2009 hatte er die Poetik Ehren-Professur an der Forschungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg inne. Seit 2018 veröffentlicht van Dijk auch Kinderbücher. Seine preisgekrönten Jugend- und Sachbücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Seit 2001 lebt und arbeitet van Dijk auch in Südafrika. Anfang 2001 gründete er gemeinsam mit der Südafrikanerin Karin Chub und weiteren Aktivist:innen in einem Township bei Kapstadt die Stiftung „Hokisa“ (Homes for Kids in South Africa), die Aids-Waisenkinder unterstützt. 2014 wurde Lutz van Dijk als „Bürger des Jahres in Südafrika“ geehrt. 2023 erhielt er für sein Lebenswerk den Stonewall-Menschenrechte Preis. Er lebt heute in Amsterdam und Kapstadt und hat die niederländische Staatsangehörigkeit angenommen.

Sodann übergab sie das Wort an den Autoren Lutz van Dijk, der mit seinem jüngst neu aufgelegtem Buch es ermögliche, so Anna Stelthove-Fend, Afrika, aber damit auch die Welt, aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Überwiegend im Gespräch mit dem Publikum und seinen beiden Begleiter:innen auf der Bühne warf Lutz van Dijk immer wieder Spotlights auf Einzelthemen aus seinem Werk, dass nach seiner Aussage „zu 60 oder gar 70 Prozent aus neuen Texten gegenüber der Erstveröffentlichung bestehe.“

Afrika – Geschichte und Vielfalt eines Kontinents
Neu erzählt mit afrikanischen Stimmen.
Afrika – mit 54 Staaten, über 2000 Sprachen und der jüngsten Bevölkerung der Welt – ist bunt und vielfältig. In Europas Erzählung vom „schwarzen Kontinent“ klingt diese Vielfalt selten an. Lutz van Dijks Geschichte Afrikas will es anders und beleuchtet unzählige Facetten des Kontinents. Sie beginnt bei der Entstehung des Erdteils und den ersten Menschen, die von hier aus in alle Welt wanderten. Sie erzählt von den frühen Hochkulturen im islamischen Norden und den christlichen und traditionell-afrikanisch geprägten Kulturen im Süden, vom Leben in der Steppe und in den modernen Großstädten. Der Autor berichtet von den Jahrhunderten europäischer Kolonialisierung und der Befreiung und macht schließlich aktuelle Entwicklungen zum Thema: von der Rolle Chinas über den arabischen Frühling, Boko Haram und Migration bis hin zu internationalen Bewegungen wie „Black Lives Matter“. Die größte Stärke dieses Werks aber liegt darin, dass Afrikanerinnen und Afrikaner immer wieder selbst zu Wort kommen: Sie erzählen von ihrem Leben und ihren Hoffnungen und machen das Bild von Afrika menschlich und lebendig – das nachhaltigste Mittel gegen das Klischee vom schwarzen Kontinent! Vollständig überarbeitete und ergänzte Neuausgabe des Standardwerks. Mit einem Vorwort von Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu.
Pressestimmen:
Tim Neshitov in der Süddeutschen Zeitung:Lutz van Dijk zeigt auch ein anderes, selbstbewusstes und optimistisches Afrika.
Sabine Sütterlin in der Neuen Zürcher Zeitung:Gehört in jedes Bücherregal!
Renate Grubert im Eselsohr:Hohe Erzählkunst und die Vielfalt der Sichtweisen lässt Afrika zu einem Standardwerk werden, zu einem geografisch-politischen Handbuch mit literarischem Touch.
Dr. Lutz van Dijk: Afrika – Geschichte und Vielfalt eines Kontinents; Wuppertal; Peter Hammer Verlag; überarbeitete Neuausgabe 2025; 360 Seiten; 25 Euro; ISBN: 978-3-7795-0768-0;ab 12 Jahre; leider nicht in der Stadtbücherei Münster ausleihbar.

Ein Arzt für 40.000 Menschen

Van Dijk riss die Probleme auf dem Afrikanischen Kontinent an. So beklagte er die mangelhafte medizinische Versorgung in verschiedenen Staaten. „Ein Arzt für 40.000 Menschen. In Europa undenkbar; im aktuellen Afrika Realität“, so der Autor. Er verwies auf Ghana, ein Land so groß wir das Vereinigte Königreich mit über 33 Millionen Einwohner:innen deren Sprachvielfalt mit 79 verschiedenen Sprachen und Idiomen recht groß ist. „Ghana, als erstes Land Afrikas, erlangte am 6. März 1957 die Unabhängigkeit von Großbritannien“, unterstrich van Dijk, dass es trotzdem noch nicht alle in der Kolonialzeit gelegten Probleme los geworden sei. Anschließend verwies er auf die 300.000 Aidstoten allein in Südafrika, die auch ihn bewegt hätten, sich dort dauerhaft und sesshaft zu betätigen. Um aber im Buch zu zeigen, dass Afrika menschlich und lebendig sei, habe er in der Neuauflage Afrikaner:innen und Menschen mit besonderer Beziehung zu Afrika zu Wort kommen lassen. Dazu gehört auch Maimuna Bojang.

Maimuna Bojang ist Mitglied der Fachschaft Anglistik / Amerikanistik an der Universität Münster.

Selbstbewusste schwarze Deutsche

Die Studentin Maimuna Bojang kam mitten in der Corona-Zeit zum Studieren nach Münster. Im VHS-Forum las sie ihren biografischen Beitrag im Buch. Dabei unterstrich sie, wie schwierig es für Menschen wie sie sei. In Gambia, wo ihre afrikanischen Wurzeln lägen, würde ihr das „Schwarz sein“ abgesprochen. In Deutschland habe sie lange unter dem täglichen Rassismus gelitten und wollte deshalb immer weiß sein. Durch Empowerment sei es ihr gelungen, sich heute als schwarz und deutsch zu sehen, zu empfinden und so zu leben. Unter anderem ist Maimuna Bojang in der Kinderarbeit aktiv. Sie liest zum Beispiel unter dem Dach der Afrikanischen Perspektiven für Kinder zwischen vier und zehn Jahren aus dem Buch „Sulwe“, der oscarprämierten Schauspielerin und Produzentin Lupita Nyong’o.

Dr. Mustapha Diallo aus Wadersloh ist Stellvertretender Vorsitzender der Afrikanischen Perspektiven.

Der afrikanische Blick kommt nicht zur Geltung

Einen aktuellen politischen Bezug brachte Dr. Mustapha Diallo, Stellvertretender Vorsitzender des Vereins Afrikanische Perspektiven und deren Ansprechpartner für Literatur und (Post)Kolonialismus, in die Veranstaltung. Der Autor von „Visionäre Afrikas – Der Kontinent in ungewöhnlichen Portraits“ möchte ein positiveres Bild von Afrika in Europa zeichnen und betonte: „Der afrikanische Blick kommt in Europa nicht zur Geltung.“ Dies traf auf die Unterstützung von Lutz van Dijk, der einwarf: „Es gibt so viele neue Fragen, die nur beantwortet werden können, wenn die Vielfalt der Stimmen zugelassen wird.“

Diallo, der im Senegal Germanistik studiert hat, über ein Stipendium nach Münster kam und schließlich in Paris promovierte, verdeutliche am Beispiel der Ungleichheit: „Europa könnte eine neue Sicht auf Afrika haben. Trotz der häufig mit Waffengewalt durchgesetzten Politik. Trotz der noch nicht erfolgten Befreiung von Gewohnheiten aus der Kolonialzeit. Trotz der vorhandenen strukturellen Gewalt, sei das Ziel, es zu verändern.“

Dieser Waisenjunge, der im Homes for Kids in South Africa lebt, „adoptierte“ van Dijk als Vater.

Positive Entwicklung zeigen

„Ich will mit meinem Buch positive Entwicklungen in Afrika zeigen“, verdeutlichte Dr. Lutz van Dijk abschließend. Er habe aber die Realität im Blick: „Das heißt nicht, dass ich die negativen Entwicklungen nicht sehe!“ Er hoffe aber, dass das Bild von Afrika durch die Stimmen der Schwarzen, die endlich gehört werden müssten, dauerhaft verändert wird – „möglichst überall“. Schließlich sei „Afrika im Aufbruch“– das nachhaltigste Mittel gegen die Klischees vom „schwarzen Kontinent“ seien die Worte der Menschen, die für die Achtung aller Menschen untereinander wichtig wären.

Am Schluss des Abends, bevor es zum Smaltalk beim gemeinsamen Essen ging, stellten die zahlreichen mit Infotischen vertretenden Afrika-Vereinigungen sich dem Publikum in kürzeren (und manchmal langatmigen) Beiträgen vor. Deutlich wurde dabei, dass insbesondere Unterstützung gegen Krieg und Vertreibung, Aufklärung über vergessene Kriege (Beispiel: Sudan) und Hilfe bei Infrastrukturaufbau in Afrika durchaus aus Europa gewünscht sei. Allerdings müssten endlich und vorrangig die noch immer vorhandenen Schäden als Folge des Kolonialismus beseitigt werden.

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