„Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ fordert Vergesellschaftungsfahrplan

„Wer nicht enteignen will, kann Berlin nicht regieren“

Isabella Rogner

Die Expert*innenkommission in Berlin gibt grünes Licht für die Enteignung großer, profitorientierter Immobilienkonzerne in der Bundeshauptstadt. Dies berichtete die Berliner Morgenpost gestern online unter Berufung auf den noch nicht veröffentlichten Zwischenbericht der vom rot-grün-roten Senat eingesetzten Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on. Damit ist eine wesentliche rechtliche Grundlage für die Umsetzung des Volksentscheids Deutsche Wohnen und Co. enteignen gegeben, für den im September 2021 gut 59 Prozent der Ber­li­ne­r*in­nen votiert hatten.

„Die Expert*innen bestätigen, dass das Land Berlin die nötige Gesetzgebungskompetenz hat, um ein Vergesellschaftungsgesetz zu verabschieden. Außerdem besteht die Möglichkeit einer Entschädigung für die Konzerne unter Marktwert. Somit stellt die Finanzierbarkeit der Enteignung keine Hürde dar“, freut sich die Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen (DWE) in einer Pressemitteilung vom 9. Dezember 2022.

Berlin kann enteignen!

„Die Kommission hat bestätigt, was für mehr als eine Million Menschen vergangenes Jahr schon klar war: Berlin kann enteignen! Der Senat hat keine Ausreden mehr und kann sich nicht länger hinter der Kommission verstecken. Berlin kann nun Geschichte schreiben“, verdeutlicht Isabella Rogner, Sprecherin der Initiative. „Auch die von Senat bisher genannte, völlig aufgeblasene Entschädigungshöhe hat die Kommission zurückgewiesen. Das heißt: wir können uns die Enteignung leisten, das steht fest!“ Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen fordert vom Senat, nun unverzüglich einen Fahrplan für die Vergesellschaftung vorzulegen. „Laut Grundgesetz falle die Vergesellschaftung von Grund und Boden zwar unter die sogenannte konkurrierende Gesetzgebung. Da der Bund davon aber bisher keinen Gebrauch gemacht habe, könne das Land Berlin eine Vergesellschaftung von Grundstücken selbst regeln, heißt es in dem Papier“, schreibt die taz.

Senat muss jetzt ein Gesetz vorlegen

„Der Zeitpunkt für eine Enteignung ist jetzt und der Senat muss endlich loslegen. Wer jetzt noch immer nicht enteignen will, kann Berlin nicht länger regieren. Die Ergebnisse der Kommission muss der Senat jetzt in ein Gesetz gießen. Dafür erwarten wir einen Zeitplan. Wenn Giffey und Geisel weiterhin die Arbeit verweigern und stattdessen schützend die Hand über ihre Immobilienfreunde halten, dann werden sie am 12. Februar die Quittung dafür kassieren. Berlin hat für die Vergesellschaftung gestimmt und Berlin wird die Immobilienlobby abwählen!“ so Rogner abschließend.

Laut taz handelt es sich bei dem bekannt gewordenen Papier der Expert*innenkommission jedoch lediglich um „Auszüge eines Vorentwurfs zu dem Zwischenbericht, der zurzeit beraten wird“ und der am kommenden Donnerstag offiziell vorgestellt werden soll. Daraus Schlussfolgerungen auf das endgültige Beratungsergebnis zu ziehen, das für April erwartet wird, sei nicht möglich, hieß es in einer am Freitagmittag veröffentlichten Mitteilung.

Unterschiedliche Haltungen von SPD, Grüne und Linke zum Volksentscheid

Tendenzen lassen sich aber ablesen, und sie entsprechen den jüngsten Entwicklungen. So habe die Kommission in einer zweiten wichtigen Frage – der Höhe der Entschädigung – zwar laut dem Papier bisher keine gemeinsame Position gefunden. Allerdings tendierte die Mehrheit in der Kommission offenbar dazu, dass die entsprechenden Kosten für das Land eher unter dem Marktwert der Immobilien liegen würden, sprich: dem Land deutlich billiger kämen als bisher gedacht. In seiner Schätzung 2021 war der Senat noch von gut 30 Milliarden Euro Kosten für das Land ausgegangen.

Spekulationsgewinne werden berücksichtigt

Begründen ließe sich eine niedrigere Entschädigung zum Beispiel in dem Fall, so der Entwurf, dass „der Wert des Gegenstands nicht oder nur eingeschränkt auf eigener Leistung des Betroffenen beruht, sondern zumindest teilweise aus Spekulationsgewinnen resultiert“. Damit greift zumindest ein Teil der Ex­per­t*in­nen ein von Un­ter­stüt­ze­r*in­nen der Vergesellschaftung immer wieder genanntes Argument auf: dass der Immobilienmarkt vor allem an Wertsteigerungen und den Interessen der Ak­tio­nä­r*in­nen interessiert sei und, nicht aber an den Belangen der Bevölkerung, obwohl diese ein von der Berliner Verfassung garantiertes „Recht auf angemessenen Wohnraum“ habe.

Aufgeblasene Entschädigungshöhe

„Wir können uns die Enteignung auch leisten, das steht fest“, erklärte DWE-Sprecherin Rogner. Die vom Senat bisher genannte, „völlig aufgeblasene Entschädigungshöhe“ sei von der Kommission zurückgewiesen worden. Die Kommission war mit viel Skepsis bedacht worden. Bereits am Mittwoch hatte Berlins Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) auf einer Diskussionsveranstaltung erklärt, dass die Vergesellschaftung von Wohnraum möglicherweise „haushaltsneutral und Schuldenbremsen-konform“ durchgeführt werden könne. Er sprach sich dafür aus, die Entschädigungssumme nicht auf der Grundlage des spekulativen Marktwertes zu berechnen, sondern nach dem Ertragswert zu gehen. Die alte Berechnung des Senats sei „nicht mehr up to date“.

Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on überrascht

Die heute (Freitag. 9. Dezember 2022) öffentlich gewordenen Positionen der Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on überraschte viele Beobachter*innen. Insbesondere bei der Initiative DWE hatte es Skepsis bezüglich der Besetzung gegeben. Vor allem die Auswahl der 13 Mitglieder, zumeist hochrangige Jurist*innen, die unter Leitung der früheren Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) klären sollen, was in Sachen Enteignung rechtlich möglich ist, wurde deshalb als Versuch der SPD gesehen, das Thema auf die lange Bank zu schieben.

Eindeutiges Ergebnis

Am 26. September 2021 hatten bei einem Volksentscheid gut 59 Prozent der abstimmenden Ber­li­ne­r*in­nen für die Enteignung jener Immobilieneigentümer gestimmt, denen mehr als 3000 Wohnungen in der Stadt gehören. Hintergrund waren vor allem die seit gut einem Jahrzehnt dramatisch steigenden Mieten bei fehlendem Angebot. Der Entscheid war jedoch nicht verpflichtend, weil kein Gesetzentwurf vorgelegt wurde; andererseits war sein Ergebnis so eindeutlig, dass er anders als die Wahlen zum Abgeordnetenhaus von 2021 nicht im kommenden Februar wiederholt werden muss.

SPD, Grüne und Linke hatten sich in ihren Koalitionsverhandlungen nach langen Auseinandersetzungen auf die Einsetzung des Ex­per­t*in­nen­gre­mi­ums geeinigt, auch weil sie unterschiedliche Haltungen zum Volksentscheid hatten und haben: Wärend die Linke diesen voll und ganz unterstützt, lehnen die SPD-Parteichefs Franziska Giffey und Raed Saleh eine Umsetzung ab. Die Grünen konnten sich nicht zu einer klaren Position durchringen.

Positiv auf das Papier der Kommission reagierte laut taz Katina Schubert, die Landeschefin der Linkspartei: „Wir freuen uns auf die Ergebnisse der Kommission und erwarten, dass der Senat auf dieser Grundlage schnell ein Vergesellschaftungsgesetz erarbeitet.“ Man wolle alle Möglichkeiten nutzen, um die Menschen in Berlin vor steigenden Mieten zu schützen. „Dafür werden wir weiter Druck machen, die Wiederholungswahl wird auch eine Mietenwahl.“

Unmut bei der CDU

Bei der Hauptstadt-CDU hat die Nachricht für Unmut gesorgt. Die Berliner CDU fordert empört, einen „Schlussstrich“ unter die Enteignungsdebatte zu ziehen. Dirk Stettner, Sprecher für Bauen und Wohnen der Berliner CDU-Fraktion, erklärte am Freitag laut Berliner Morgenpost, das Wohnungsproblem der Hauptstadt lasse sich „nicht mit Enteignungen lösen, sondern mit Mieterschutz und Neubau“. Die Kosten, die durch eine Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen entstünden, seien „in Zeiten von Energiekrise und Inflation nicht darstellbar“.

Von der Expertenkommission hätten sich sowohl CDU und FDP als auch die Regierungspartei SPD etwas anderes erhofft, berichtete heise online. Aktive der Mieterbewegung hatten den Verdacht geäußert, die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wolle mit der Einsetzung dieses Gremiums das Vorhaben bewusst im Sand verlaufen lassen. Auch die Linkspartei, die den Volksentscheid unterstützt hatte, musste sich Kritik gefallen lassen, weil sie ich als Juniorpartner von SPD und Grünen daran beteilige, das Vorhaben zu verschleppen.