Solidarität statt Verschwörungstheorie

Immer wieder finden sich auch in Münster montagsabends um 18 Uhr Corona-Leugner*innen, Schwurbler*innen, selbsternannte Querdenker*innen und auch Reichsbürger*innen und Rechtsextremist*innen auf dem Domplatz zusammen. Sie schwurbeln herum und grenzen sich dabei nicht von den Rechtsradikalen in ihren Reihen ab. Anschließend ziehen alle gemeinsam, aktuell bis zu 125 Menschen, durch Münsters Innenstadt.

Fast seit Beginn dieser Versammlungen ruft das Münsteraner Bündnis „Keinen Meter den Nazis“ eine halbe Stunde zuvor zur Mahnwache – früher auf dem Domplatz und jetzt – auf dem Michaelisplatz in Sichtweite der Schwurbler*innen auf. Am gestrigen Montag (29. August 2022) ergriff auch Mats Reißberg, Gründungs- und Vorstandsmitglied der Münsterliste – bunt und international e.V., das Mikrofon, ehe er gemeinsam mit den örtlichen Schwurbel-Busters an verschiedenen Stellen auf der Strecke des Montagsspaziergang gegen die Meinung der Spaziergangsteilnehmer*innen demonstrierte. Hier sein Redebeitrag:

Mats Reißberg von der Münsterliste. (Fotos: Werner Szybalski)

Hallo, ich bin Mats von der Münsterliste – bunt und international. Wir sind eine kommunale Wählervereinigung und also solche auch schon 2020 bei der Kommunalwahl angetreten. Wir organisieren uns basisdemokratisch und streben auch eine Kommunalpolitik an (und idealerweise auch Politik auf größeren Ebenen), die möglichst basisdemokratisch funktioniert. Das soll heißen, dass jeweils die vor Ort lebenden, selbst betroffenen und sich für das jeweilige Anliegen einsetzenden Menschen an den Entscheidungsprozessen direkt beteiligt werden sollen.

Auf der Seite unserer Gegner laufen ja Menschen einer Partei mit, die sich selbst ebenfalls Basisdemokratie auf die Fahne schreibt. Mein Eindruck, nach intensiver Recherche, ist jedoch, dass sie in Wirklichkeit mit Basisdemokratie nicht viel am Hut haben. Sie verwenden das Wort Basisdemokratie als Marketing-Phrase, ohne es selbst zu verstehen oder wirklich den Willen zu haben, es umzusetzen.

Das ist anscheinend ein wiederkehrendes Muster in dieser Covid-Schwurbelszene. So tragen sie Begriffe wie Freiheit, Demokratie und Menschenwürde vor sich her, während sie andererseits genau diese Werte mit Füßen treten. Sie spielen bisweilen Lieder ab, die eigentlich aus der antifaschistischen Bewegung stammen, und dabei sind Nazis und andere Rechtsradikale bei ihnen von Anfang an nicht nur dabei gewesen, sondern haben eine prägende Rolle gespielt.

Ich finde es schwer zu ertragen, dass diese Menschen sich als Widerstand darstellen oder begreifen. Das Gegenteil ist eigentlich der Fall. Ich kann das keine Sekunde ernstnehmen, aber dennoch gibt es auch immer wieder Menschen, die auf den Anschein, es handele sich um eine Freiheitsbewegung, hereinfallen.

Bei den Schwurbel-Busters rufen wir daher immer: „Ihr seid nicht der Widerstand, lauft mit Nazis Hand in Hand.“

Mats Reißberg: „Ihr seid nicht im Widerstand!“

Einige kennen ja dieses Schild, welches ich bei den Protesten mit mir herumtrage, welches ich mit wechselnden Sprüchen beklebe. Einer der ersten war damals eine Variante dieses Spruchs: „Ihr seid nicht im Widerstand, Bonzen nutzen euch als Vorwand.“

Damit wollte ich einen weiteren Aspekt dieser ganzen Corona-Krise beleuchten, der nach meinem Gefühl zu wenig Beachtung findet.

Nun, wir haben ein zunehmendes Problem damit, dass vielen Menschen nicht mehr richtig klar ist, was „links“ und „rechts“ im politischen Sinne überhaupt bedeutet. Was den Unterschied ausmacht, wie er zustande kommt, wie er sich entfaltet und auswirkt. Und auch, wie man ihn erkennt. Ich behaupte, dass das eine wichtige Fähigkeit ist. Damit hat man einen Inneren Kompass, mit dem man gerade in unübersichtlichen Krisensituationen wie der Corona-Pandemie eine gewisse Orientierung behält.

Dankenswerterweise organisiert Carsten Peters vom DGB Münster mit dem Münsteraner Bündnis „Keinen Meter den Nazis“ seit Monaten montags um 17.30 Uhr auf dem Michaelisplatz die Mahnwache gegen die nach rechts offenen Spaziergänger*innen in Münster.

Worum geht es?

Es geht um ein Wort, was eine gewisse Zeit etwas aus der Mode gekommen zu sein schien, inzwischen aber wieder häufiger zu hören ist: Kapitalismus. Wir leben zwar in einer parlamentarischen Demokratie, aber der Einfluss auf politische Entscheidungen ist leider trotzdem ungleich verteilt. Menschen mit hohem Einkommen und Vermögen, und besonders große Unternehmen, die gewichtige Faktoren in der hiesigen Wirtschaft sind, haben einen überproportionalen Einfluss. Das alles genauer auszuführen würde hier zu weit führen. Es ist ein Themenbereich mit vielen Facetten.

Schauen wir uns also bezogen auf die Pandemie die Interessenlage unter diesem Gesichtspunkt an. Die Unternehmen wollen ihre Profite weiter erwirtschaften. Jede Maßnahme des Infektionsschutzes, die am Arbeitsplatz greift (und damit auch eine Arbeitsschutzmaßnahme ist), ist allerdings geeignet, diesen Profit zu schmälern. Also sind die Unternehmer dagegen.

Die Arbeitskräfte hingegen sollten diejenigen sein, die dafür sind. Das wäre in ihrem Interesse. Aber da kommen dann solche Bewegungen wie „Querdenken“, Desinformations-Kampagnen der „Bild“-Zeitung, und so weiter ins Spiel, um dies zu verhindern.

Und mehr noch, den Arbeiter*innen weiszumachen, dass es sogar in Ihrem eigenen Interesse wäre, auf den Infektionsschutz zu pfeifen. Dass dies ihre Freiheit wäre, die hier auf dem Spiel stünde. Und wenn der vorhin erwähnte Innere Kompass fehlt, fällt man darauf herein.

Dazu kommt noch der angesprochene überproportionale Einfluss der Wirtschaft auf die Politik. So hatte man über gewisse Strecken ja starke Einschränkungen vor allem im privaten Bereich verhängt, die so genannten „Lockdowns” (eigentlich der falsche Begriff für das, was wir hatten, aber das hat sich inzwischen so eingeschliffen, dass es wohl bei dieser Bezeichnung bleiben wird) während der Arbeitsplatz größtenteils ausgenommen war. Und das, obwohl es vom Infektionsschutz her umgekehrt viel mehr Sinn gemacht hätte. Das hat Leute natürlich auch wütend und mürbe gemacht.

Die Quittung für diese Vorgehensweise haben wir bekommen, wenn wir betrachten, wie sich die Pandemie entwickelt hat. Und es wird immer schlimmer werden, wenn man nicht grundsätzlich umsteuert.

Keine Durchseuchungspolitik

Gegen diese aktuelle Durchseuchungspolitik, wie ich sie nenne, müsste es unbedingt Widerstand geben. Aber die da drüben, die leisten dagegen keinen Widerstand. Im Gegenteil, sie preschen voran und helfen munter mit. Und durch ihren Scheinprotest vernebeln sie den kompletten Diskurs, der eigentlich nötig wäre. Wenn Leute den Ausdruck „Kritik an Corona-Maßnahmen der Regierung“ hören, dann denken doch, so schätze ich, die meisten, man wolle sich über zu strenge Maßnahmen beschweren. Das hat diese laute Minderheit geschafft, diesen falschen Grundeindruck zu erzeugen. Dass es genügend Gründe für Kritik gäbe an fehlenden, zu laschen oder sonstwie ungeeigneten Maßnahmen geht völlig unter.

Mats Reißberg (links) und die Schwurbel-Busters Münster wehren sich gegen die Montagsspaziergänger*innen.

Nebenbei bemerkt finde ich immer wieder erstaunlich, wie stark hier die Parallelen zum Thema Klimawandel sind. Ich habe mal den Begriff „Katastrophe in Zeitlupe“ gehört, im Gegensatz zu zum Beispiel einem Erdbeben, wo die Schäden und Opfer schnell und geballt auftreten. Diese „Zeitlupe“ trägt dazu bei, dass die Politik nötige Maßnahmen immer wieder möglichst lange aufschiebt, und dann wenn es gar nicht mehr anders geht, macht man ein bisschen was, was aber zu wenig und zu spät ist. Exakt dieses Muster tritt leider bei beiden Themen zutage.

Widerstand von unten

Ich hoffe wirklich, dass wir die Kurve noch kratzen können. Dazu muss es Widerstand, echten Widerstand, von unten geben. Wir, die wir uns hier jede Woche treffen, können vielleicht eine Keimzelle dafür sein. Noch gar nicht angesprochen habe ich, dass die da drüben ja inzwischen gar nicht mehr über Corona reden. Sie reden über Inflation, Gaspreise, usw. Ein ganz klarer Versuch der Rechten, diese Krisen ebenfalls für sich zu vereinnahmen. Auch dem müssen wir etwas entgegensetzen: Solidarität statt Verschwörungstheorie.

Informiert euch gerne auch über die Münsterliste. Im Internet sind wir zu finden unter www.muenster-ist-bunt.de. Teil unserer Arbeit besteht auch darin, daran zu arbeiten, die Sichtbarkeit linker Projekte, Initiativen und Gruppierungen sowohl untereinander als auch gegenüber einer weniger politisierten Öffentlichkeit zu steigern. So dass wir unsere Kräfte bündeln können, und man nicht nebeneinander her oder sogar gegeneinander arbeitet. Das ist natürlich nicht immer einfach. Basisdemokratie ist anstrengend. Etwas, wovon die da drüben keine Ahnung haben, denn die tun ja nur so als ob. Kommt also gerne mal vorbei bei unseren Veranstaltungen oder Treffen. 2025 wollen wir auch wieder bei der Kommunalwahl antreten.

„Alerta, Alerta, Antifascista!“

Aber genug der Eigenwerbung, auch wichtig ist: Erzählt euren Freunden, Verwandten, Bekannten von diesem Protest von “Keinen Meter” jeden Montag hier auf dem Michaelisplatz, damit wir weiter wachsen und ein immer deutlicheres Zeichen gegen die Schwurbler da drüben setzen. Denn dass sie immer noch durch unser Münster, Stadt der Wissenschaft, ziehen, ist unerträglich. Dem müssen wir uns in den Weg stellen und die Menschen dieser Stadt davor warnen, wer da läuft: „Alerta, Alerta, Antifascista!“