Mehr Teilhabe durch Gemeineigentum

Buchvorstellung: „Sammelband Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage“

Vergesellschaftung ist das fehlende Puzzlestück in vielen Diskussionen über die sozial-ökologische Transformation – dabei müsste die Eigentumsfrage dringend in den Mittelpunkt der Kämpfe gestellt werden. Der im Oekom-Verlag erschienene Sammelband „Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage“ gibt ein Update über den aktuellen Stand der Vergesellschaftungs-Debatte und skizziert anhand von Praxisbeispielen und theoretischen Beiträgen, wie Gemeineigentums-Modelle in den Bereichen Energie, Verkehr, Landwirtschaft oder Wohnen (z. B. Deutsche Wohnen & Co enteignen) in eine ökologische, sozial gerechte und selbstverwaltete Zukunft weisen.

Mit „Vergesellschaftung“ sei nicht etwa das „Entwenden von alltäglichem Besitz“ gemeint, stellt Herausgeber Tino Pfaff gleich zu Beginn klar und kommt somit etwaigen Ängsten zuvor. Im Gegenteil, Vergesellschaftung ziele darauf ab, „die Mitbestimmungsmöglichkeiten jeder einzelnen Person zu vervielfältigen und damit die direkte Einflussnahme sowie Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeit auf das eigene Leben betreffende Lebensgrundlagen zu erweitern.“

In über 30 Beiträgen bietet das Buch „Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage“ einen so umfassenden wie leicht zugänglichen Einstieg in die aktuelle Vergesellschaftungs-Debatte. Beim Lesen wird klar: Privateigentum – also die Praxis, dass Menschen von der Nutzung eines Stück Lands, eines Produktionsmittels etc. ausgeschlossen werden – lässt sich nicht mit sozial-ökologischer Transformation vereinbaren. Wie Sabine Nuss im Vorwort des Buches schreibt: Die Interessen von Nationalstaaten und globalen Unternehmen, geprägt von kolonial-kapitalistischer Wachstumsideologie und vom Individualismus der Konkurrenzgesellschaft, stehen einer Weltrettung entgegen. Es brauche eine emanzipatorische Alternative; nicht nur ein „Dagegen“, sondern eine „Kehrtwende im Denken, Handeln und Wirken“. Und: „Im Mittelpunkt muss dabei das Eigentum stehen.“

Nur eine Selbstermächtigung der Gesellschaft wird imstande sein, die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen aufzuhalten, verdeutlicht Tino Pfaff. Gleichzeitig sei die selbstermächtigte Gesellschaft eine Bastion gegen den Faschismus1, den Tino Pfaff als „Krisenzustand des Kapitalismus“ und als Mittel, kapitalistische Zwänge zu erhalten, betrachtet.

Wohnen und Energiesektor vergesellschaften

Wer nach diesen einleitenden, programmatischen Worten gleich zu den Praxisbeispielen springen will, kann das problemlos tun. Die einzelnen Beiträge sind in sich abgeschlossen und erzählen beispielsweise von den Erfahrungen einer „Verkehrswende von unten“ mit Volkswagen-Beschäftigten. Mehrfach wird das Modell der „Anstalt öffentlichen Rechts“ (AöR) herbeigezogen, um zu illustrieren, wie Eigentum von der Gesellschaft verwaltet werden kann – und dies sogar unter jetzigen legalen Bedingungen. Diese Stossrichtung ist besonders attraktiv, weil sie einerseits sehr konkret ist und andererseits potenziell gewinnbar. Der Energiesektor – besonders relevant aus Klimasicht – und das Wohnen gehören zu den Schwerpunkten des Buches; unter anderem werden Bewegungen wie „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ oder „RWE & Co enteignen“ vorgestellt, aber auch weitere Beispiele, die zeigen, wie Grundversorgung rekommunalisiert, dezentralisiert und demokratisiert werden kann. Auch historische Beispiele werden am Rande genannt, wie dasjenige der Arbeiter*innen des britischen Rüstungsunternehmens Lucas Aerospace, die in den 1970er-Jahren lokal betriebene Wärmepumpen produzierten wollten. Oder, weniger lang zurückliegend, die Rekommunalisierung der Berliner Wasserwerke oder der Rückkauf der Hamburger Energienetze 2013.

Wirtschaft und Commons

Werden diese Gedanken weiter gedacht, gerät bald die Wirtschaft als Ganzes ins Blickfeld. Ein eindrückliches Beispiel sind die Tausenden von Unternehmen, die in der argentinischen Wirtschaftskrise 2001 „von unten“ vergesellschaftet wurden (empresas recuperadas). Neben den erwähnten Erfahrungen bei VW wird häufig auch auf das Beispiel von GKN in Florenz Bezug genommen. Das Konzept der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi; englisch Community Supported Agriculture, CSA) ist ein weiteres, bereits recht verbreitetes Beispiel für Vergesellschaftung. Es lässt sich übrigens auf beliebige Anwendungen ausweiten, wie Julia Rothamel und Janna Jung-Irrgang zeigen, von Bäckereien bis zu Fahrradwerkstätten. Im Englischen wird dies als Community Supported Economy (CSX, das „A“ von CSA wird duch ein X ersetzt) bezeichnet.

Wie die Autorinnen schreiben: „Ohne Markt löst sich innerhalb der Gemeinschaft die Rolle von Privateigentum auf, während der Gemeinschaft als Ganzer etwas gehört.“ In dieser Praxis wird die „Beziehungshaftigkeit des Habens“ (Silke Helferich/David Bollier 2019) deutlich: Wenn statt Besitz die menschlichen Beziehungen in den Vordergrund rücken, dann sind wir bei der Thematik der Commons bzw. beim Prozess des Commonings angelangt . Commons können als Güter, die gemeinschaftlich produziert und / oder gehütet werden, definiert werden, wie bereits im ersten Kapitel des Buches, „Historie und Kontext von Vergesellschaftung“, zu lesen war. „Vielerorts wurde in Dorfversammlungen über die Nutzung von Wald, Wasser und Weideland sowie über die Bewirtschaftung von Ackerland entschieden“, schreibt dort Friederieke Habermann in ihrem Beitrag.

Vergesellschaftung = mehr Demokratie?

Von den Dorfversammlungen gelangt Friederieke Habermann zum Thema Demokratie. Mehr Demokratie heisse nicht einfach, öfter wählen zu dürfen, „sondern das eigene Leben(sumfeld) selbst mitgestalten zu können.“ Was übrigens auch die Subsistenzproduktion und Care-Ökonomie umfasst, wie Christopher Wimmer mit Bezug auf Gabriele Winkler, Maria Mies und Tithi Bhattacharya bemerkt.

Wird ein Wirtschaftszweig vergesellschaftet, muss es ferner Partizipationsmöglichkeiten für verschiedene Personengruppen geben, etwa im Energiesektor nebst den Arbeiter*innen und den Stromkund*innen auch die weiter gefasste Community. Niklas Stoll betont folgerichtig, dass Vergesellschaftung nicht bloss als Wirtschaftsreformstrategie, sondern auch als Demokratiereformstrategie verstanden werden soll. Er verweist auch auf „deliberative Mini-Öffentlichkeiten“ (Klimabürger*innenräte) und partizipatorische Budgets. In Anbetracht dessen, dass solche „demokratischen Innovationen“ immer öfter zur Anwendung kommen, spricht er sich dafür aus, dass sich sozialökologische Vergesellschaftungsinitiativen „durch kluge Bündnispolitik mit der direktdemokratischen und der deliberativen Szene verbinden“, auch um deren Blick auf Demokratie und bestehende Machtungleichheiten zu weiten. Einen interessanten Gedanken dazu äussert Marie-Luisa Wahn: Vergesellschaftung wirke wie eine Art „deliberatives Forum“, da sie als „demokratisches Einstiegsprojekt“ Solidarität, Koproduktion und Mitbestimmung erlebbar mache.

Kritik an Staat und repräsentativer Demokratie

Einige Beiträge üben explizite Kritik am Nationalstaat und warnen vor einer zentralistischen Vergesellschaftung oder gar Verstaatlichung. Damit einher geht die Kritik an der repräsentativen Demokratie. Wie etwa Sascha Regier ausführt, ist der Staat auf Steuereinkommen und somit auf Wirtschaftswachstum angewiesen, wird also folglich die Kapitalseite tendenziell bevorzugen. Dieses Problem werde sowohl im Alltag, als auch in den meisten politikwissenschaftlichen Demokratietheorien nicht gesehen, stellt Regier fest: „Hier wird Demokratie – neben den politischen Grundrechten – institutionell auf das Parlament reduziert.“ Deutlich äussern sich auch Jonna Klick, Nele Klemann und Indigo Drau: „Der Staat ist also nicht unser Freund, auf den wir setzen, kein Werkzeug, das wir einfach verwenden können, um mit ihm nach und nach alle Konzerne zu enteignen.“ Eine Vergesellschaftungsbewegung müsse deshalb nicht nur kapitalismus-, sondern auch staatskritisch sein. Historisch habe es immer wieder „Möglichkeitsfenster“ gegeben, in denen eine bedürfnisorientierte Selbstorganisation praktiziert worden sei. Nun komme es darauf an, wie gut wir auf solche Momente vorbereitet seien: „Damit ist nicht nur gemeint, wie stark wir im Kämpfen sind, sondern auch, wie sehr unsere Solidarität trägt, wie sehr Menschen darauf vertrauen, durch Commoning versorgt zu werden.“

Strategie: Zuspitzung in konkreten politischen Kämpfen

Ein zentraler Beitrag fragt schliesslich danach, wie eine strategische Perspektive entwickelt werden kann und Vergesellschaftung als „Horizont für eine Linke in der Krise“ dienen kann. Lemon Banhierl, Justus Henze und Max Wilken (communia e.  V.) erläutern dazu die Theorie der fünf Hegemonieprojekte (nach Hendrik Sander 2022). Demnach stehen das grün-kapitalistische, das fossilistisch-konservative, das reaktionäre (z. B. AfD) und das sozial-defensive (z. B. BSW) Hegemonieprojekt in Konkurrenz zueinander – als fünftes kommt das emanzipatorische Projekt dazu, das allerdings in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation kaum hegemoniales Potenzial aufweise. Lemon Banhierl, Justus Henze und Max Wilken plädieren deshalb dafür, sich auf die „radikale Zuspitzung in konkreten politischen Kämpfen“ zu konzentrieren: „Mit der Klimakrise notwendigerweise zunehmende Verteilungskonflikte um Wasser, Land, Wohnraum, Gesundheit und Energie können über die Eigentumsfrage populistisch zugespitzt werden.“

Anmerkungen aus kommunalistischer Sicht

Das Buch „Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage“ weist eine grosse Nähe zur sozialen Ökologie und zum Kommunalismus auf, auch wenn auf diese Strömungen nicht direkt Bezug genommen wird. Die konkreten Vorschläge und Anwendungsbeispiele sind eine wertvolle Bereicherung und können sozialen Ökolog*innen und Kommunalist*innen als Argumentationshilfen dienen. Zu erwähnen ist etwa das präfigurative Organizing bei „Deutsche Wohnen und Co enteignen“. Tilman Wendelin Alder spricht in seinem Beitrag eigentlich ein Grundanliegen des Kommunalismus an: den „Basisaufbau im Kiez“, der die Grundlage schafft, um langfristige politische Veränderungen zu bewirken.

Umgekehrt könnte die aktuelle Vergesellschaftungs-Debatte sehr viel gewinnen, wenn sie sich intensiver mit der kommunalistischen Strömung befassen würde. Insbesondere würde das Konzept des Konföderalismus viele offene Fragen beantworten. Beim Lesen des Buchs fällt nämlich immer wieder auf, dass die Autor*innen damit ringen, wie sich direkte Partizipation mit grossflächiger Planung vereinbaren lässt, wie quasi das Lokale „hochskaliert“ werden kann. Konföderalismus (insbesondere das Prinzip des imperativen Mandats) könnte eine Antwort sein, wie Vergesellschaftung gesamtgesellschaftlich koordiniert werden kann und dabei demokratisch bleibt.2 Es wäre äusserst spannend, Konföderalismus-Theorie und ihre praktische Tradition in Zusammenhang mit der heutigen Vergesellschaftungs-Bewegung zu stellen.

Tino Pfaff (Hrsg.): Tino Pfaff (Hrsg.):


Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage – Wie wir unsere Gesellschaft gerechter, zukunftsfähiger und resilienter machen können; 512 Seiten; Softcover; ISBN 978-3-98726-062-9; 36,00 €; auch als E-Book erhältlich oder kostenfrei zum downloaden: Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage

1 Auch Tatjana Söding diskutiert in ihrem Beitrag die Vergesellschaftung als eine Strategie gegen rechts.

2 Jakob Schäfer schneidet genau diese Thematik in seinem Beitrag an, wenn er von einer beteiligungsorientierten, kommunalistischen Verfassung redet, von Dezentralisierung und der Maxime „Lokal so viel wie möglich, überörtlich und überregional so viel wie nötig.“ Interessante Fragen zu Zentralismus und Dezentralismus stellt auch Simon Sutterlütti in seinen Ausführungen über kommunistisch / anarchistisches Vergesellschaften.