Seid ihr gnädig, lernen wir

Eine Komödie voller Verwechselungen wie der Sommernachtstraum lebt von Veränderungen. Für eine kurzfristig nun allerletzte Vorstellung wechselt dieser Traum in die Wirklichkeit vom Großen Haus ins Kleine Haus des Theater Münster: Samstag (12. Juli 2025), 19.30 Uhr. Die folgende Berichterstattung bleibt beständig.
Von Christoph Theligmann
Ein letztes Mal hebt sich der Vorhang für William Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ im nahezu ausverkauften Theater Münster, und mit ihm endet nicht nur ein Theaterabend, sondern auch eine Spielzeit, die das Haus in Bewegung und die Stadtgesellschaft in Aufruhr versetzt hat. Die Inszenierung von Sebastian Schug trifft somit auf ein Publikum, das – altersmäßig durchaus gemischt, doch auch auffällig einfarbig – Teil eines vielstimmigen Geschehens geworden ist, das weit über die Bühne hinausweist. Doch zunächst zum Traum selbst.

Rollenwechsel als Prinzip – Theater in Reinkultur
Das achtköpfige Ensemble („The enchanted 8“) meistert die Vielzahl an Rollen mit sichtbarer Spielfreude und bemerkenswert dynamischer Präzision ohne Pause in einer 130 minütigen Vorstellung. Die Übergänge zwischen den Figuren sind deutlich und für das Publikum stets nachvollziehbar gestaltet – sei es durch minimale Kostümveränderungen (Verantwortlich: Juliane Götz), durch markante Körperhaltungen oder durch gezielt gesetzte stimmliche Nuancierungen. Besonders hervorzuheben ist Pascal Riedel, der als Zeremonienmeister Philostrat mit verbindlicher Noblesse ebenso überzeugt wie als Puck – dessen schelmische Präsenz, energetischer Körpereinsatz und tänzelnde Leichtigkeit das Stück mit Rhythmus und Ironie versorgen. Sein Puck ist kein lieblicher Waldgeist, sondern ein ruheloser Spiegel der menschlichen Verwirrung – ein Schalk mit Tiefe.
Ansgar Sauren gelingt es, sowohl den autoritären Theseus als auch den verletzlichen, eifersüchtigen Oberon glaubwürdig und als Souverän zu verkörpern. Gerade in der Doppelung dieser Herrscherrollen liegt ein besonderer Reiz: Während Theseus der Welt der Rationalität verhaftet bleibt, ist Oberon dem magischen Denken verpflichtet – zwei Seiten derselben Medaille.
Katharina Brenner als Hippolyta und Titania besticht mit einer Mischung aus Eleganz und innerer Stärke. Ihre Titania ist nicht nur Opfer des Zaubers, sondern eine Königin mit eigenem Willen. Ihre Liebesszene mit dem verzauberten Popo (alias Katharina Rehn) gerät dabei zur grotesken Liebesparodie, ohne ins Lächerliche abzurutschen – ein feines Gleichgewicht, das dieser Inszenierung immer wieder gelingt.

Die Bühne als dunkler Wald der Seelen
Nicole Zielkes Bühne, zurückhaltend und atmosphärisch düster, wird zum nächtlichen Labyrinth: Theater Möbelinventar, Nebelschleier, Schattenwürfe – der Wald als Sinnbild für das Ungewisse, das Unterbewusste, für das Chaos der Gefühle. Hier irren Hermia (intensiv: Nadine Quittner), Helena (mit tragikomischer Verzweiflung und kraftvoller Schauspielkunst Katharina Rehn), Lysander (leidenschaftlich: Artur Spannagel) und Demetrius (mit geheimnisvoller, komischer Wut: Julius Janosch Schulte) umher – Figuren auf der Suche nach sich selbst und dem jeweils anderen, getrieben von inneren wie äußeren Verwirrungen.
Der Wald, herrlich amüsant Daryna Mavlenko als Löwe und Bohnenblüte, ist mehr als Kulisse – er ist Spiegel einer Spielzeit, in der auch das Theater selbst seinen Ort zwischen Verführung und Verpflichtung, zwischen Kunstanspruch und öffentlicher Erwartung neu bestimmen musste.
Komödie mit Haltung – ohne den Ernst zu verlieren, sehr komisch und stellenweise mit großem Witz
So leichtfüßig die Inszenierung daherkommt, sie bleibt nie belanglos. Die Komik der Handwerkertruppe – vor allem Popo (Rehn) als tragisch-komischer Pyramus und Flöt (Schulte) als überforderte Thisbe – wird nicht zur bloßen Farce, sondern ist immer auch Reflexion über das Theater selbst: über dessen Mittel, seine Wirkung und seine Begrenztheit. Wenn die „Wand“ (Quittner als Schnauz) mit gespreiztem Ernst ihre Funktion erklärt, lachen wir nicht nur über die Komik, sondern auch über die Eitelkeit unserer Deutungsversuche. Es ist ein Theater, das sich selbst kennt und dennoch ernst nimmt. Sogar in den Szenen, in denen kurz vor Ende ein blutig roter Erdbeermond die Bühne flutet.
Schließlich der finale Satz in Shakespeares Originalton, in der Inszenierung von Sebastian Schug, dieser auch verantwortlich für ein großartig verständliches Deutsch, hier mit sinngleichen Worten im Raum schwebend: „If you pardon, we will mend“ – erklingt nicht als routinierter Abgesang, sondern als fast flehentliche Bitte um Verständnis, vielleicht sogar um Fortbestand. In einer Zeit, in der sich das Theater selbst neu erfinden muss, gewinnt so ein verhüllter, unausgesprochener Satz, an Gewicht.
Publikum ohne Spiegel – eine Leerstelle bleibt
So differenziert und vielschichtig sich das Bühnengeschehen präsentiert, so einseitig bleibt der Blick ins Publikum. Die nahezu vollständige Abwesenheit migrantisch geprägter Zuschauerinnen und Zuschauer stellt eine unbequeme Frage in den Raum: Für wen spielt dieses Theater eigentlich? Wer fühlt sich angesprochen – und wer nicht? Der „Sommernachtstraum“ bietet genug universale Themen: Liebe, Irrtum, Verwandlung, Macht. Dass sich diese Themen nicht in der Zusammensetzung des Publikums widerspiegeln, ist kein Fehler der Inszenierung – aber ein Hinweis auf eine Herausforderung, der sich das Haus stellen muss, wenn es auch in Zukunft gesellschaftlich relevant bleiben will.