Der Ausverkauf öffentlicher Güter an private Interessenten hat nichts zu tun mit Vernunft und „Notwendigkeit“, sondern vor allem mit Geschäftsinteressen
Von Jürgen Buxbaum
Unter der Verantwortung städtischer Vorstände und Aufsichtsräte wurde das münstersche Altenpflegezentrum Klarastift gegen die Wand gefahren. Die Lösung der Misere soll nun ausgerechnet darin bestehen, das Klarastift als öffentliche Einrichtung zu verkaufen. In dieser Logik ist es konsequent, dass der Rat der Stadt Münster entsprechende Beschlüsse in nicht öffentlicher Sitzung ohne Beteiligung der Öffentlichkeit gefällt hat. Die freien Wohlfahrtsverbände der Stadt protestieren zu Recht, dass weder sie beteiligt und informiert wurden, noch der Sozialausschuss, geschweige denn die Bürgerschaft.
Hier lohnt es sich, etwas grundsätzlicher zu werden. Wir Bürger*innen wünschen uns für unsere Angehörigen – ebenso wie vielleicht auch eines Tages für uns selbst – Pflegeeinrichtungen von umfassend guter Qualität. Das heißt qualifizierte Betreuung durch Mitarbeiter*innen, die ihre Arbeit gern und nicht unter ständigem Zeitdruck machen, und eine gute räumliche und technische Ausstattung von Einrichtungen von überschaubarer Größe, die möglichst in unserem nahen Lebensumfeld liegen sollten. Diese Wünsche müsste niemand äußern, wenn solche Pflegeeinrichtungen ganz selbstverständlich wären. Das sind sie aber nicht – jedenfalls nicht zu Kosten, die für die meisten Normalbürger*innen bezahlbar sind.
Wer kann unsere Wünsche und Erwartungen am besten erfüllen? Liegt die Lösung des Problems darin, die Versorgung unserer Pflegebedürftiger in private Unternehmerhände zu geben? Nein, gewiss nicht! Öffentliche Einrichtungen jedoch erfüllen die oben genannten Ansprüche auch nicht immer. Wo also liegt die Ursache des Dilemmas, und was kann man tun?
Öffentliche Einrichtungen der Daseinsvorsorge, der Gesundheit und Pflege werden heute in der Regel aus drei Gründen privatisiert. Erstens suchen Investoren Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital, die ihnen attraktive Gewinne versprechen. Zweitens fühlen sich Gemeinden nicht selten gezwungen, öffentlichen Besitz, unser aller Eigentum, zu privatisieren, weil ihnen das Geld für dringend notwendige Investitionen fehlt. Dies ist jedoch ist kein „Sachzwang“, sondern liegt an politischen, d. h. veränderbaren, Entscheidungen, die dazu führen, dass Wohlhabende und große Unternehmen nicht die Steuern zahlen, die gerechterweise zu erwarten wären. Außerdem erhalten die Kommunen von Bund und Ländern nicht die Mittel zugewiesen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben so dringend brauchen. Der dritte Grund schließlich für die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen ist ein ideologischer: Wirtschaftsgläubige Politiker und Medien verbreiten gern das Märchen von „privat ist besser“ – soll heißen: Privatunternehmer können per se alles besser als Angestellte im öffentlichen Auftrag (steckt dies hinter dem Bestreben, das Klarastift zu verkaufen?).
Eine Binsenweisheit jedoch ist unbestreitbar: Private Pflegeeinrichtungen dienen logischerweise und immer zuallererst dem Zweck, Gewinne zu machen. Zu welchem anderen Zweck würde ein privater Investor sonst sein Kapital investieren? Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder es wird an der Betreuung, dem Personal, an angemessenen Löhnen, der Einrichtung und Ausstattung gespart oder das Haus ist nur offen für wohlhabende Bewohner, die sich leisten können, monatlich 3.000,-, 4.000,- oder auch 6.000,- Euro zu bezahlen. So oder so, die Einrichtung muss Gewinn abwerfen.
Eine Einrichtung, die sich im Besitz der Gemeinde befindet, unterliegt diesem Zwang jedenfalls nicht. Und wie steht es um Pflegeheime, die von Kirchen, dem Roten Kreuz, der AWO oder anderen, als gemeinnützig eingestuften Betreibern geführt werden? Sie sollen keinen Profit machen, jedenfalls keinen offen sichtbaren, in Bilanzen ausgewiesenen Gewinn. Aber auch sie unterliegen dem Zwang zur sog. „Wirtschaftlichkeit“, arbeiten intransparent, beteiligen die Betroffenen in der Regel nicht an Entscheidungen – was nicht selten in Skandale mündet, die denen in privatwirtschaftlichen Einrichtungen nicht nachstehen.
Es gibt jedoch eine Lösung, die den Menschen dient und praktikabel ist, die jedoch erfordert, mit altem Denken von Macht und Gewinn Schluss zu machen. Pflegeeinrichtungen sollten von den Gemeinden betrieben, aber in Selbstverwaltung geleitet werden von einem Trägerverein, der aus den Betroffenen selbst besteht. Dies sind die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen sowie die Beschäftigten der Einrichtung. So wird Transparenz hergestellt und die volle Verantwortung und Mitwirkung all derer garantiert, die am besten wissen, wo der Schuh drückt und was die Menschen brauchen. Dieses Modell ist am besten zu gewährleisten in Pflegeeinrichtungen, die sich in den Händen der Kommune befinden – und am wenigsten möglich ist es in Einrichtungen, die vor allem Gewinn abwerfen. Eine Trägerschaft in den Händen der Betroffenen wäre ein realistisches, ein gutes Modell auch für das Klarastift in Münster.
Zu anständigen Tarifen bezahlte Beschäftigte der Gemeinde, die sich mit ihrer Einrichtung identifizieren und sie täglich aktiv mitgestalten, werden ihre Arbeit mit großem Engagement und gern tun, in jedem Fall besser als z. B. schlecht bezahlte Aushilfen, die in privaten und sonstigen Einrichtungen auf Anweisung von oben arbeiten. Und schließlich: Nur bei Einrichtungen, die von der Gemeinde betrieben werden, können wir alle, die Bürgerinnen und Bürger, politischen Einfluss darauf nehmen, dass unsere Pflegeeinrichtungen finanziell so ausgestattet werden, dass eine menschenwürdige Pflege von hoher Qualität tatsächlich in der Praxis gewährleistet ist.